Berlin / 25.02.2020 Zur für morgen erwarteten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum § 217 StGB hofft Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) „auf Klarstellung zum rechtlichen Spielraum für Ärztinnen und Ärzten in der Begleitung lebenslimitierend erkrankter Patienten mit einem Sterbewunsch.“ Radbruch betont: „Viele Menschen wissen gar nicht, welche Möglichkeiten sie haben, zum Beispiel mit dem Abbruch oder dem Verzicht von lebenserhaltenden Behandlungsmaßnahmen. Selbst eine künstliche Beatmung muss nach geltendem Recht beendet werden, wenn der betroffene Patient dies wünscht. Wir brauchen deshalb mehr Informationen über die bestehenden Möglichkeiten, keine offene Tür für geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid.“
An erster Stelle: Achtung des Patientenwillens
Die DGP weiter: In der Palliativversorgung muss die Bitte um Beihilfe zum Suizid ernst genommen und respektiert werden. Es ist wichtig, mit dem Patienten über seine Wünsche und Ängste zu sprechen und alternative Optionen zur Leidensminderung aufzuzeigen. Dazu gehört eine umfassende Aufklärung über Möglichkeiten der Schmerz- und Symptomkontrolle, über Verzicht oder Beendigung von lebenserhaltenden Behandlungsmaßnahmen, unter Umständen auch über die Option der palliativen Sedierung sowie den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken. Zum sogenannten Sterbefasten hatte die DGP erst kürzlich Position bezogen: „Die Achtung des Patientenwillens hört nicht beim freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken auf!“
In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom Sommer 2019 war die Bedeutung und Verbindlichkeit des Patientenwillens noch einmal hervorgehoben worden: Dies durch den Freispruch zweier Ärzte, welche nicht in den Sterbeprozess ihrer Patienten eingegriffen hatten, da diese zuvor unmissverständlich lebenserhaltende Behandlungen abgelehnt hatten. Ähnliche Sicherheit in der palliativmedizinischen Begleitung von Schwerstkranken – auch bei geäußertem Sterbewunsch – erhofft sich die DGP vom morgigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Durchaus zeitgleich: Wunsch zu sterben und zu leben
Ärztinnen und Ärzte müssen sich ebenso wie andere an der Patientenversorgung beteiligte Berufsgrup-pen respekt- und verantwortungsvoll mit Sterbewünschen auseinandersetzen. Bei Schwerstkranken, welche den Wunsch nach Beistand beim Suizid äußern, gilt es zunächst die Ursachen und Hintergründe genau zu eruieren. Urs Münch, Vizepräsident der DGP, Psychoonkologe und Psychologischer Psychotherapeut, unterstreicht: „Ein Mensch, der einen Sterbewunsch äußert, kann durchaus gleichzeitig auf einen alternativen Ausweg aus der für ihn unerträglichen Situation hoffen.“ Forschung mit schwer kranken Menschen hat diese doppelte Bewusstheit (double awareness) von Todes- und Lebenswunsch deutlich gezeigt. Palliativmediziner wissen, wie oft der Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, vor allem ein Wunsch ist, „so“ nicht mehr leben zu wollen. Lukas Radbruch: „Die häufigste Begründung für einen Sterbewunsch, die ich höre, ist, niemandem zur Last fallen zu wollen.“
Deshalb sind vorrangig alle Optionen zur Linderung des Leidempfindens anzubieten. Hierzu gehören insbesondere palliativmedizinische, psychosoziale und seelsorgerische Angebote sowie Optionen der Therapiebegrenzung oder -beendigung bzw. – im Falle einer entsprechenden Indikation – auch der palliativen Sedierung oder der Begleitung beim freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken. Bei Zustimmung der Betroffenen sollten das engere soziale Umfeld und andere an der Versorgung beteiligte Personen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.
Mitwirkung am Suizid gehört nicht zu ärztlichen Aufgaben
Radbruch: „In diesen komplexen Situationen können ethische Fallkonferenzen eine Hilfe sein, welche in allen Krankenhäusern, aber noch dringender im Bereich der ambulanten Versorgung zu etablieren und finanzieren sind.“ Von entscheidender Bedeutung ist, dass der geäußerte Sterbewunsch freiverantwortlich jenseits einer psychischen Erkrankung oder äußeren Drucks getroffen wurde.
Gleichzeitig betont die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin: „Unabhängig von der moralischen und ethischen Bewertung eines Suizids und der Bereitschaft, darüber offen und ohne Tabus zu sprechen, gehört die Mitwirkung daran nicht zu den ärztlichen Aufgaben. Der Suizid ist auch keine vom Arzt oder anderen Mitgliedern eines Behandlungsteams zu empfehlende Option.“